Wenn die Change-Medizin nicht schmeckt!
Kennen Sie eine Firma, die nicht von massiven Veränderungen in Ablauf- oder Aufbauorganisation betroffen ist? Wohl kaum. Und immer mehr Betriebe holen sich dazu externen Rat und Begleitung. Mit manchmal sehr ungewollten Folgen.
Ich kenne da einige externe Trainer, die betätigen sich als Guerilla. Natürlich nur zum Wohle des Auftraggebers. Diese Buschkämpfer starten mit dem Auftrag für ein Führungstraining, erkennen Veränderungsbedarf und versuchen dann, ohne Auftrag umwälzende Veränderungen in der Gesamtfirma in Gang zu setzen. Aber anders als der Vietkong fallen Sie dabei auf die Nase. Das System ist in aller Regel stärker. Dann gibt es andere, die solche Umwege nicht beschreiten. Sie wissen von vornherein, was dem Betrieb guttut und verordnen ihre Medizin. Leider ist es in der Medizin so, daß 80% aller verordneten Medikamente nicht genommen werden. Das bezeichnet man als Compliance-Problem. Ähnlich verhält es sich im Betrieb. Die Mitarbeiter und Manager wollen die verordnete Change-Medizin nicht schlucken. Woran liegt das? Niemals am objektiven Veränderungsbedarf. Immer an der subjektiven Wahrnehmung desselben: Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Das ist den meisten Projektleitern nicht genügend klar.
Der Engpaß Mensch taucht bereits bei der Auftragsklärung auf. Egal, ob ein externer Berater, ein interner Personal- oder Unternehmensentwickler oder ein Projektmanager mit dem Veränderungsprojekt betraut wird – meist hakt es schon bei der Auftragsvergabe. Der Auftrag zur Veränderung ist nämlich häufig widersprüchlich. “Es muß etwas getan werden!” Darüber sind sich alle einig. Der Vorstand sagt: “Die Führungskräfte müssen besser führen.” Die Führungskräfte meinen: “Die Kompetenzen müssen klarer abgegrenzt werden.” Die Mitarbeiter klagen: “Der Info-Fluß muß besser werden.” Und Sie als betrauter Change-Manager können nur fragen:
- “Wer definiert denn nun das Feld, das verändert werden muß?”
- Wer definiert, was als Veränderungserfolg anzusehen ist?
- Woran merkt man, daß Erfolg eingetreten ist?
Wenn Sie hier mit Ihrer Auftragsklärung nicht wirklich den Auftrag klären, verrennt sich Ihr Projekt im Nebel.
Klären Sie unbedingt auch die implizite Bedeutung des Auftrags. Wenn der Vorstand beispielsweise fordert “Die Führungskräfte müssen besser führen”, dann impliziert das: Der Mißerfolg liegt an den Führungskräften! Logisch, daß die Führungskräfte dann den Change-Auftrag sabotieren oder aussitzen. Klären Sie auch die Vorgeschichte. Vestigia terrent, sagt Horaz und empfiehlt dem Change-Manager die Frage: Welche Veränderungsversuche hat es vorher schon gegeben? Mit denen müssen Sie dann keinen Versuch mehr machen. Die haben nicht funktioniert.
Klären Sie schließlich stets Ihre eigene Rolle. Wenn ich der fünfte Berater bin, liegt die Frage nahe: Was soll ich denn anders machen als die anderen? Warum denkt der Auftraggeber, daß gerade ich das Problem lösen kann? Es kann nämlich passieren, daß es zum Systemmuster gehört, sich über den Verschleiß von Beratern zu beweisen, daß das Problem eben unlösbar ist. Läßt man sich – zumal als internen Beauftragter – nicht gern verschleißen, muß man das Problem zuerst an dieser Verschleißhaltung anpacken. Also: Finden Sie heraus, welche Rolle der Auftraggeber von Ihnen erwartet. Spielen Sie die Implikationen dieser Rollenerwartung durch und prüfen Sie, ob die Konsequenzen für Sie tragbar sind.
Erst wenn Ihre Auftrag klar ist, können Sie das eigentliche Veränderungsproblem anpacken. Mit der Problemfeld-Analyse. Ein Beispiel. Ein Betrieb führt ein Produktionsplanungs- und ‑steuerungssystem (PPS) ein. Wochen nach Einführung der großflächigen EDV unterlaufen den Mitarbeitern immer noch recht viele Fehlbedienungen. Trotz umfassender Schulung. Man ermahnt die Mitarbeiter. Das Projekt-Team diskutiert die Problematik in den Teamsitzungen. Workshops werden abgehalten, in denen die Vorteile des neuen Systems noch einmal herausgestellt werden. Die Fehlbedienungen bleiben. Die Manager machen mehr Druck. Nichts bessert sich. Warum nicht? Weil die Lösungsansätze allesamt am eigentlichen Problem vorbeigehen.
Das eigentliche Problem trifft man nämlich nicht, indem man auf Verdacht mit Workshops oder Ermahnungen nach den Mitarbeitern wirft. Bevor man Penicillin spritzt, sollte man herausbekommen, welche Krankheit man eigentlich kurieren will. Das heißt: Aktionismus ist gut, aber Analytik ist besser. Eine saubere Problemfeld-Analyse kann dabei nur systemisch sein. Denn ein Problem kommt nie allein, sondern immer vernetzt. Das gilt besonders für Veränderungsprojekte mit ihren vielen, schlecht vorhersehbaren Auswirkungen. Eine saubere Problemfeldanalyse liefert eine klare Definition des Problems unter anderem nach folgenden Kriterien: Was ist das Problem? Wer ist daran beteiligt, davon betroffen? Was sind die wichtigsten Ziele der Beteiligten, Betroffenen?
Stellt man diese Fragen, kommt man recht schnell darauf, wieso die Mitarbeiter die PPS-Einführung still behindern. Eines oder mehrere ihrer – bisher unberücksichtigen Ziele – wurde verletzt. In unserem Fall wurde das Interesse der Mitarbeiter an Kontinuität mißachtet: “Das ist nur wieder so eine Mode, die in vier Wochen vergessen sein wird.” Daher der stille Widerstand. Als man das endlich bemerkt, ist es natürlich schon fast zu spät.
Deshalb gehört eine Problemfeldanalyse an den Anfang jedes Change-Projektes. Damit identifizieren Sie schon ex ante die tangierten Ziele und folgerichtig die Konflikt- und Problemfelder. Daneben bereinigt Ihre Analyse Unklarheiten. Wenn das Projekt beispielsweise von Produktvorteil spricht, dann garantiert die Problemfeldanalyse, daß alle Beteiligten darunter das gleiche verstehen. Und nicht der Verkauf einen niedrigen Preis, Marketing eine lange Lebensdauer und F&E eine hohe Motordrehzahl. Ganz nebenbei vermindert die Problemfeldanalyse auch den Ressort-Egoismus im Betrieb, indem sie zum Prozeßdenken zwingt.
Mit der Problemfeldanalyse haben Sie die Elemente des Systems identifiziert, die an der Veränderung beteiligt oder davon betroffen sind. Diese Elemente setzen Sie nun in den Zusammenhang. Das passiert in Miniszenarien: Welche Auswirkungen hat eine Veränderung von x auf y? Was passiert wo, wenn wir z ändern? Auch als ungeübter Systemiker erkennen Sie recht schnell die wesentlichen Kreisläufe und Rückkopplungen des Systems. Da gibt es aufschaukelnde und abschwächende Schleifen, Anlassereffekte, stabilisierende Kreisläufe, Zeitbomben und Sackgassen, gefährliche und aussichtsreiche Verläufe. Jedes Szenario liefert Ihnen Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Zielerreichung, Kontrollen und Frühwarnsysteme.
Auftragsklärung – Problemfeldanalyse – Miniszenarien: Sie sind nun auf Ihr Projekt vorbereitet. Sie haben dem potentiellen Bremsfaktor Mensch einen klaren Auftrag abgerungen, seinen Einfluß abgesteckt und sein Verhalten im Prozeß simuliert. Jetzt können Sie ihn direkt angehen. Denn sobald Sie Ihr Projekt tatsächlich starten, wird der Prozeß von den psychologischen Implikationen bei den betroffenen Menschen determiniert. So haben beispielsweise hierarchiegewohnte Führungskräfte teilweise große Schwierigkeiten, sich mit der veränderten Bedeutung von Hierarchie in der Projektarbeit zurechtzufinden. Projektarbeit ist aber notwendig, um zum Beispiel Total Quality Management (TQM) einzuführen.
Sobald Sie aber TQM einführen, zwingen Sie die Führungskräfte implizit, sich mit ihrem inneren Führungsverständnis sehr kritisch auseinanderzusetzen. Sehen Sie diese psychologische Implikation nicht voraus, ist Ihr Projekt in Schwierigkeiten. Implikationen dieser Art treten auf vier verschiedenen Ebenen mit aufsteigender Dramatik des potentiellen Widerstandes auf. Die vier Ebenen erscheinen im Beitrag: Das Maß aller Dinge